VERKÖRPERTES UND AUSGELAGERTES GEDÄCHTNIS
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"Platon nahm an, dass die Schriftkultur das menschliche Gedächtnis verkümmern lässt. In einer Welt des beschleunigten Verhaltens von Information ist der gezielte und immer schnellere Zugriff auf Daten wichtiger geworden als der Besitz von Wissen. Heute verlassen wir uns auf das Google-Gedächtnis;“ // Assmann
QUELLEN
9 zit.n. Platon, siehe Assmann, S189
10 zit.n. Assmann, Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelles_Ged%C3%A4chtnis, aufgerufen am
08.02.2015
11 vgl. Assmann, S.188 - 190

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VERKÖRPERTES UND AUSGELAGERTES GEDÄCHTNIS
Wir können also zusammengefasst, folgendes ableiten: Wir besitzen ein »verkörpertes« (prozedurales) Gedächtnis, das untrennbar mit unserem Körper verknüpft ist (wie erwähnt zB Rad fahren) und letztlich in unseren Habitus mündet. Abseits dieses Gedächtnisformats besitzen wir noch das »episodische« (unsere Erfahrungen) und das »semantische« Gedächtnis. Diese Gedächtnisformate hingegen, sind durch aus »auslagerbar«: Dazu bedarf es der Übersetzung in semiotischen Kodes wie Sprache oder Bilder.
Durch Fixierung von Sprache in »Schrift« kann das menschliche Gedächtnis nicht ersetzt, wohl aber in seinem Umfang erheblich erweitert werden. Als kurzes Beispiel soll hier der Film »Memento« dienen. In aller Kürze geht es um einen Mann, der nach einem Unfall sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat – »I can’t make new memories«; Im fortlaufenden Plot des Films versucht der Protagonist nun mittels externer Speicher (in seinem Fall Notizen und Tätowierungen am eigenen Körper) sein fehlendes Gedächtnis auszugleichen – wie der Film zeigt ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen, jedoch theoretisch möglich. Der externe Speicher der Aufzeichnung dehnt das Gedächtnis und entlastet es zugleich, wodurch eine unausweichlich wachsende Diskrepanz zwischen dem verkörperten Gedächtnis und dem externen Archiv entsteht. Platon nahm an, dass die Schriftkultur das menschliche Gedächtnis verkümmern lässt. In einer Welt des beschleunigten Verhaltens von Information ist der gezielte und immer schnellere Zugriff auf Daten wichtiger geworden als der Besitz von Wissen. „Heute verlassen wir uns auf das Google-Gedächtnis;“9
Dieser Umstand bringt uns zu einer weiteren Unterteilung im Diskurs des »Gedächtnisses«: Das kulturelle Gedächtnis. Aleida Assmann definiert dies folgendermaßen: „die Tradition in uns, die über Generationen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbst- und Weltbild prägen.“10
Das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft gliedert sich wiederum in zwei Bereiche, die sich wie Hinter- und Vordergrund zueinander verhalten: ein Speichergedächtnis und ein Funktionsgedächtnis. Im Speichergedächtnis werden Quellen, Objekte und Daten gesammelt und bewahrt, unabhängig davon, ob sie von der Gegenwart gerade gebraucht werden – es bildet das passive Gedächtnis der Gesellschaft. Das Funktionsgedächtnis ist das aktive Gedächtnis einer Wir-Gruppe. So wie das autobiographische Gedächtnis die Identität eines Individuums stützt, stützt das kulturelle Funktionsgedächtnis die Identität eines Kollektivs. Es enthält eine kleine Auswahl aus der Fülle der überlieferten Bestände, die für die Identität dieser Gruppe relevant ist. Darüber hinaus bedarf es der Anlässe und Anstöße, um dieses Wissen durch Aktualisierung,
Teilnahme, Auseinandersetzung, und Aneignung in eine Form von kollektiv geteiltem Gedächtnis zu verwandeln. Diesen verkörperten und identitätsrelevanten Schatz kulturellen Wissens nennen wir Bildung.
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