EINE BESPRECHUNG DER GEDÄCHTNISSE

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Nüchtern betrachtet, kann der Homo sapiens als Auswuchs der Biomasse verstanden werden. // vgl. Flusser

QUELLEN

17zit.n. Clausius, Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Thermodynamik#Zweiter_Hauptsatz, aufgerufen am 21.02.2015
19 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S41 
20 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S43
21 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S43
22 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S44  
23 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S44f  
24 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S45 
25 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S47f 
26 zit.n. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S48 
27 vgl. Flusser, Philosophien der neuen Technologien, S48f 

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DAS ELEKTRONISCHE GEDÄCHTNIS

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EIGENE GEDANKEN ZUM VERGESSEN

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MEDIENKULTUR

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EINE BESPRECHUNG DER GEDÄCHTNISSE

Der Mensch unterscheidet sich von allen uns bekannten Lebewesen dahingehend, dass er nicht nur ererbte, sondern auch erworbene Informationen an zukünftige Generationen weitergibt. Laut Flusser widersprechen wir aufgrund dieser »Informationsweitergabe« vor allem dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dieser lautet: „Es gibt keine Zustandsänderung, deren einziges Ergebnis die Übertragung von Wärme von einem Körper niederer auf einen Körper höherer Temperatur ist.“17 Flusser interpretiert diesen so: „In der Natur neigen alle Information dazu vergessen zu werden[..]“.18 In weiterer Folge widersprechen wir auch dem Mendelschen Gesetz: „Mendels Gesetz sagt, dass erworbene Informationen nicht von Organismus zu Organismus übertragen werden können.“19 Die Menschheit hält diesem Gesetz das »kulturelle Gedächtnis« entgegen. Diese doppelte Naturverneinung definiert das was Flusser als »Menschenwürde« bezeichnet und uns letzten Endes von anderen Lebewesen differenziert. Die Tatsache, dass wir über »genetische« und »kulturelle« Gedächtnisse verfügen macht uns zu »historischen Wesen«. Abstrahiert und isoliert man den Begriff des »Gedächtnisses« so kann dieser mit »Informationsspeicher« gleichgesetzt werden. Aus diesem Blickwinkel erscheinen uns in jedem Winkel der Natur unzählige Gedächtnisse. Um ein sehr verallgemeinertes Beispiel für das genetische Gedächtnis zu geben bedient sich Flusser der »Biomasse«: Vor tausenden von Millionen Jahren entstanden, besteht sie aus kleinen Tropfen in denen sich wiederum komplexe Molekülstrukturen befinden, welche genetische Informationen beinhalten. Wir selbst – der »Homo sapiens« – kann nüchtern betrachtet als Auswuchs der Biomasse verstanden werden. Mittels »Kopierung« werden Informationen von Biomasse zu Biomasse weitergegeben – dabei entstehen immer wieder Fehler. „Die meisten dieser Fehler werden aus dem Gedächtnis der Biomasse ausgeschieden (»lebensunfähige Mutationen«), einige wenige hingegen verbleiben im Gedächtnis und bilden die »Evolution des Lebens«.“20 Mit anderen Worten entstehen durch die »Fehler«, die beim Kopieren der in der Biomasse befindlichen Daten passieren, neue Informationen. Dieses Prinzip erscheint in der heutigen Gentechnik einen neue Bedeutung zu erreichen: Bei der genetischen Technik wird versucht, »erworbene« Information in die Biomasse zu speichern – sprich aus der Biomasse ein kulturelles Gedächtnis zu machen. Das kulturelle Gedächtnis ist der weit jüngere »Informationsspeicher« (im Vergleich zum genetischen Gedächtnis): Die meisten der von uns – im Laufe unserer relativ kurzen Existenz – erworbenen Informationen geraten wieder in Vergessenheit. „Nicht nur Dokumente zerfallen in Asche und Gebäude in Ruinen, sondern die meisten der uns vorangegangenen Kulturen haben kaum Spuren hinterlassen.“21

Die orale Kultur weicht den harten Gegenständen
Als die Menschheit begann, ein kulturelles Gedächtnis zu entwickeln (mit Flussers Worten: Der Mensch begann, Mensch zu werden), standen zunächst nur sehr ephemere Gedächtnisstützen zur Verfügung. Als frühzeitliche Beispiele für Gedächtnisstützen (Datenträger, Medien) können Luft und harte Gegenstände angeführt werden. Luft ist leicht verfügbar und der Mensch besitzt zudem Organe, die gerade dafür gemacht sind Luftströme in akustische Codesysteme um zu modellieren. Dabei sei anzumerken, dass jede Sprache erworben werden muss, die Sprechfähigkeit jedoch ist ererbt. Schallwellen sind zeitlich sehr beschränkt, Geräusche zersetzen die in den Wellen gespeicherte Information. Deshalb müssen bei dieser Art der Informationsweitergabe (Stichwort »orale Kultur«) die Daten schnellstmöglich empfangen und vom Nervensystem der RezipientInnen verarbeitet werden. Die Verarbeitung der Informationen in unserem Gehirn laufen nach heutigem Stand nach noch nicht völlig durchblickten Methoden ab. Fest steht, der Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung unterwirft die Daten einer zusätzlichen Verzerrung, ehe sie an weitere AdressatInnen weitergegeben werden. „Daher ist bei der »oralen Kultur« nur in sehr beschränktem Maß von Geschichtlichkeit (von kumulativer Speicherung erworbener Informationen) zu sprechen.“22 Die zweite hier einführend zu nennende Kategorie der Speicher- und Übertragungsmedien sind die sogenannten »harten Gegenstände«. Diese haben im Vergleich zur Luft den signifikanten Vorteil der längeren Haltbarkeit. Weiters muss hier nochmals zwischen zwei Kategorien unterschieden werden: Zum einen gibt es die Gebrauchsgegenstände – dies kann beispielsweise ein antikes Messer sein. Das Messer an sich ist ein Werkzeug, zugleich dient es aber auch als Informationsspeicher und beinhaltet die Information „schneiden“. Nun dient das Messer aber nicht nur als Datenträger sondern wird vor allem in seiner primären Funktion als Werkzeug gebraucht. Das Messer als Werkzeug dient also dem »Schneiden« und nützt dadurch die in sich selbst gespeicherte Information ab. „Die Gesamtheit der informierten harten Gegenstände heißt »materielle Kultur«, und der ihr eigentümliche Gedächtnisfehler (sie nützt sich ab, wird Abfall) stellt gegenwärtig noch nicht gelöste Probleme, die nach Meinung eigener Kulturkritik das Fortbestehen der Menschheit bedrohen.“23 Die zweite Kategorie neben den Werkzeugen stellen die »reinen Gedächtnisstützen« dar. Diese Gedächtnisstützen hat man seit Anbeginn in Form von Monumenten oder Höhlenmalereien hergestellt. Sie unterscheiden sich von den Werkzeugen dahingehend, dass sie nicht durch alltäglichen Gebrauch abgenützt werden und unterliegen lediglich dem zweiten Grundsatz der Thermodynamik. Laut Flusser ist das verallgemeinert „ungefähr alles“, was wir im Bereich »kulturelles Gedächtnis« bis vor kurzem geleistet haben.

Alphabetentwicklung
Vor circa. 3.500 Jahren wurde ein wichtiger Schritt geleistet: Die Rede hier ist von der Alphabetentwicklung. Die Phoneme die also zuvor mittels Luftwellen von Sender zu Empfänger »gewandert« sind werden nun in einem Code aus visuellen Zeichen umkodiert. So wurde es möglich eine Symbiose zwischen oralen und materiellen Kulturen einzugehen und ein weit funktionelleres kulturelles Gedächtnis aufzubauen. „Es konnten »Monumente« hergestellt werden (Texte) welche orale Informationen in hardware speichern, von dort bequem abberufen werden können, und welche erlauben, kopiert zu werden.“24 Diese kulturelle Errungenschaft macht »Geschichte« im eigentlichen Sinne erst möglich und bringt zudem eine radikale Veränderung des Denkens und Handelns mit sich. Die Bibliothek entsteht und mit ihr ein »neues kulturelles Gedächtnis« das sich gegenüber dem oralen Gedächtnis (Mythos) und dem materiellen Gedächtnis (Magie) langsam durchsetzen konnte. Im Laufe der Geschichte kam es zu einem ideologischen und zugleich sakralem Wandel der Bibliothek, der unsere westliche Kultur noch heute prägt. Die Bibliothek als Ort des Wissens (Gedächtnisstütze) bekam eine neue Bedeutung zugeschrieben: Man begann sie als eine über den Menschen schwebende »Transzendenz« wahrzunehmen. Für Platon beispielsweise war die Bibliothek (das übermenschliche Gedächtnis) ein himmlischer Ort (»topos uranikos«) worin die ewigen und unveränderlichen Informationen nach den Prinzipien der Logik aufbewahrt werden. Ausgehend von diesem Denkmodell lassen sich noch heute Parallelen zu unserem kulturellem Dasein finden. „Nicht nur die Grundstruktur des Christentums und aller ihm folgenden Wertesysteme, sondern ebenso die Grundstruktur des modernen wissenschaftlichen Denkens.“25 Diese Feststellung beruht laut Flusser auf der Tatsache, dass wir uns selbst im Verhältnis zu diesem »himmlischen Kulturgedächtnis« (Bibliothek) erst selbst identifizieren. „Im Grunde geht es dabei um eine Verdinglichung des kulturellen Gedächtnisses, dass ins Transzendente projiziert wird.“26 Laut Flusser ergeben sich durch diese ideologische Projektion beinahe alle abendländischen, ewigen Fragen (zB das Verhältnis zwischen »Körper« und »Geist«, oder aber auch erkenntnistheoretische Fragen). Für ihn bleiben diese Fragen stets »ewige« Aufgaben, da er die Richtigkeit der Fragestellungen anzweifelt. Erst durch die Erfindung der »elektronischen Gedächtnisse« sieht er einen Wandel im Diskurs des »kollektiven Gedächtnisses«.27

Gedächtnisstützen sind also so alt wie die Menschheit selbst. Man kann hier grundsätzlich mit Flusser übereinstimmen, Menschen bearbeiten Materialien, speichern in ihnen Informationen. Soweit zum geschichtlichen Kontext. Für uns wesentlich interessanter ist die Stellung des Speicherns im Kontext des elektronischen Gedächtnisses. Dies soll nachfolgend besprochen werden.

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