GEDANKEN ZUR CLOUD / AUSGELAGERTES GEDÄCHTNIS
Eine wichtige prägende Entwicklung der neuen Speicherung in der Internettechnologie ist die Cloud. (Apple) iCloud ermöglicht Daten auf maximal zehn Rechnern synchron zu halten. Neben Mails, Kontakten,Kalendereinträgen, Fotos, Dokumente und Einstellungen können automatisch Backups in iCloud hochgeladen werden, die zwischen allen Geräten des Besitzers synchronisiert – sprich up to date /erinnert werden. Im iTunes Store gekaufte Multimedia-Inhalte können von allen Geräten des Nutzers heruntergeladen werden. Mit der Funktion „Mein iPhone suchen“ wird ermöglicht, dass der Aufenthaltsort eines iOS-Gerätes bestimmt werden kann. Mit der Funktion „Meine Freunde finden“ kann der aktuelle Standort auch anderen Personen bekanntgegeben werden. Das ganze ist kostenlos. Diese einleitenden Funktionsbeschreibungen beschränken sich natürlich nicht nur auf Apple-Dienste. Cloud gibt es in allen Varianten und Formen. Informationen besitzt man nicht mehr sondern »shared« sie mit tausenden anderen Benutzern. Die Daten auf eigenen externen Festplatten oder dem internen Speicher des PC’s zu speichern und zu archivieren wird somit überflüssig. Man kann jederzeit und an jedem Ort auf der Cloud ausgelagerte Informationen mit jedem beliebigem technischen Gadget abrufen. Dies klingt wie ein neuer Schritt des kulturellen Gedächtnisses. Haben wir uns bis vor kurzem noch mit analogen Datenträgern herumgeschlagen, kamen die optischen Datenträger und diese erlaubten es uns den Schritt – weg von der Haptik, hin zur immateriellen Kultur zu machen. Unser Wissen wird in minimale kleine Stücke (den Bits & Bytes) zerbröselt. Neben unserem Personal Computer lag aber noch eine kleine verschlossene Schachtel – die externe Festplatte – die uns suggerierte, dass wir zumindest noch eine entfernte Ahnung davon haben was mit unseren Daten passiert. „Diese Daten liegen hier auf meiner Festplatte.“ Gegenwärtig passiert ein weiterer Schritt, die Immaterialität wird uns durch Clouds nochmals bewusster gemacht. Man weiss nicht wo die Daten liegen, lediglich noch wie man sie erreicht. Dabei ist der schwammige Begriff der Cloud trügerisch: Sie besteht aus nichts anderem als durch das Internet verbundene Serverräume, die sich je nach Hersteller an einem beliebigen Ort auf der Welt befinden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Mehr Speicherplatz, höhere Flexibilität und maximierte Rechenleistung, zugleich Zeit- & Kostenersparnis für Endverbraucher und Unternehmen. Das teilen von Informationen an eine beliebige grosse Anzahl von Personen ist unabhängig von Zeit und Ort kein Problem mehr.
Die Kehrseite
Doch leider hat auch diese Entwicklung eine Kehrseite: Die Clouds, unterliegen den rechtlichen Grundlagen vor Ort. Überträgt man seine Daten auf die Cloud muss man sich bewusst sein dass diese Informationen leichter Anschlägen von Hackern unterlegen – wie es beispielsweise für den Journalisten Mag Hoana eingetreten ist. Ihm wurde von einem Moment auf den anderen seine gesamte digitale Identität gelöscht. Auf seiner iCloud befanden sich all seine Passwörter und Zugangsdaten zu Seiten wie Amazon, Gmail, Twitter, sowie all seine beruflichen und privaten Daten.46 Auch die Tatsache dass man Firmen wie soundcloud oder spotify kostenlos seine Daten zur Verfügung stellt und diese am Anfang noch kostenlosen Services immer teurer werden ist voraus zu ahnen. Es zeichnet sich eine neuer Umgang mit Daten und Wissen ab. Man archiviert seine Daten oder Wissen nicht mehr in einer Schachtel oder Regal in seiner Wohnung sondern legt sie in einen Virtuellen Ort, teilt sie, oder ruft sie einfach und schnell von der dubiosen Cloud ab.Wenn man sich vorstellt dass schon Platon vor der Entwicklung der Schriftkultur warnte, da er die Gefahr zu erkennen glaubte das es das menschliche Gedächtnis verkümmern lasse – er wäre vermutlich heute schockiert. In einer Welt des beschleunigten Verhaltens von Information ist der gezielte und immer schnellere Zugriff auf Daten wichtiger geworden als der Besitz von Wissen.
47Was würde er zu dieser Entwicklung wohl sagen? Man gibt dadurch seine Daten in die Hände von Firmen, die Flexibilität, Zeit und Platzersparnis überwiegen bei vielen Usern. Analoge Daten werden immer mehr als Last empfunden. Bücher, CD ́s, Videobänder, Zeitungen verlieren an Bedeutung und an Kaufkraft. Wissen muss nicht mehr lange gespeichert werden, sondern hat nur noch ephemeren Charakter – sie enthebt sich ihrem statischen Dasein und wird von aktuelleren Informationen ersetzt oder zumindest mittels neuer Inputs angereichert. Auch die Art der Fragestellung gewinnt mehr an Bedeutung. Richtige Keywords zu wissen und zu benutzen (die Handhabung) ist beispielsweise in der Arbeitswelt essentiell geworden – um sich schnellst möglich im Network bewegen zu können. Es liegt also eine Veränderung im Umgang mit Wissen in der Luft – es passiert bereits.
Speichern/Erinnern war in den Jahrhunderten vor unserer technischen Revolution ein aktives Ritual. Es war ein großer Aufwand Speichermittel wie Papyrus, Lehmtafeln, oder Wände zu bemalen / zu beschreiben – sie mit Wissen (Kultur) zu befüllen. Heute wird automatisch gespeichert und automatisiert geteilt. Spezielle Programme erleichtern das Benennen der Daten und so wird Speichern eine passive, automatisierte Tätigkeit die fast von alleine passiert. Das aussortieren und löschen überflüssiger Daten ist ein weit aus größerer Aufwand und wird daher oft vernachlässigt. Wieso sollte man auch wenn E-Mail Anbieter einen unendlichen Speicher für E- Mails in ihrer jeweiligen Cloud anbieten. Sucht mann jedoch bestimmte Daten wie Bilder die nicht richtig benannt worden sind, kann das wiederfinden mühsam werden. Das moderne Erinnern ist also speichern, benennen und wiederfinden. Zu dieser Entwicklung soll noch ein Beispiel angefügt werden: Gordon Bell ein Computeringenieur und Manager und betreibt für Microsoft ein Forschungsprojekt namens »My Life Bits«. Er dokumentiert dabei in Form von Fotografien alle 30 Sekunden seine Mitmenschen. Er archiviert seinen Blutdruck, speichert Gedanken, Gefühle, Erfahrungen. Ziel dieser Forschung ist es ein digitalen Gedächtnis außerhalb des Menschen zu entwickeln. „Jedes Gespräch, seine Gedanken, jedes Dokument, alle Reisen, Mahlzeiten, Arztbesuche und sämtliche Begegnungen archiviert er; Bell trägt einen kleinen schwarzen Kasten an einem Halsband – „SenseCam“ heißt das Ding, es spürt Körperwärme, also Menschen auf, mit denen Bell kommuniziert, und fotografiert diese Menschen alle 30 Sekunden.“
48
Für Bell geschah die Dokumentation am Anfang nur sehr beiläufig und beeinflusste sein Leben nur geringfügig. Doch mit der Zeit lebte er dann so, dass er dieses Leben besser dokumentieren konnte. Da beispielsweise E-Mails leichter aufzufinden sind als Telefongespräche, telefonierte er weniger und schrieb vermehrt. Die ständige Überwachung und Datenproduktion veränderte somit seine eigene Lebensweise. Wenn Menschen ein elektronisches Protokoll ihres eigenen Lebens führen heißt dies neuerdings „Lifelogging“. Die Visionen der Forscher sind die, dass Maschinen der Zukunft unser Urteil schärfen können, unser Gedächtnis stützen und uns auf eventuelle Fehler oder Versäumnisse hinweisen. Sie würden unterstützend bei der Organisation und Auswahl agieren. Kognitive Fähigkeiten und unsere Möglichkeiten erweitert. Probleme gelöst. Die Frage ist wie der motorisch und sensorisch ständig erweiterte Mensch mit diesen Erweiterungen umgeht. Denn immer mehr Möglichkeiten Zeit zu „sparen“ bedeutet mehr Möglichkeiten zu haben mehr Dinge auf einmal zu machen. Was zu einer weiteren Beschleunigung der Zeit führt. Genau dieses Phänomen beschrieb Flusser mit einer „Explosion der menschlichen Kreativität“, ob diese tatsächlich eingetreten ist, lässt sich schwer beurteilen.
Wir verkümmern
Uns persönlich erscheint es gegenwärtig wahrscheinlicher, dass wir uns den »Prothesen« vollständig unterworfen haben. Dazu ein Beispiel von Marlene und ihrer Armbanduhr:
Wenn ich mich zurück erinnere, an jene Zeit, bevor ich meine erste Armbanduhr erhalten habe, glaube ich ein sehr gutes Zeitgefühl gehabt zu haben. Meine innere Uhr funktionierte sehr gut. Wenn ich heute vergesse meine Uhr anzulegen, merke ich wie abhängig ich von diesem Gerät geworden bin. An Uhr-losen-Tagen fühle ich mich oft unsicher und muss ständig die Uhrzeit irgendwie anders überprüfen. Ich kann also sagen, dass sich meine Fähigkeiten zur zeitlichen Orientierung seit dem Tragen einer Armbanduhr drastisch verschlechtert haben. Dieses Beispiel lässt sich auf viele Gadgets (Prothesen) übertragen, so kennt jeder bestimmt mehrere Menschen aus seinem Umfeld, die nicht ohne ihrem Mobiltelefon aus dem Haus gehen würden. Technische Geräte werden nur beim ersten hinsehen von Menschen bedient, auf den zweiten Blick lenken die Geräte das Verhalten der Menschen. Wenn Neuronen nicht betätigt werden bilden sie sich zurück. Folglich bilden sich unsere natürlichen »Instinkte« zurück, wir »verlernen«, bekommen dies aber eigentlich nicht mit, da wir uns den ausgelagerten Gedächtnissen bedienen, die uns diese Aufgabe abnehmen.
Obwohl wir heute stärker denn je, mit den Medien und Gedächtnissen der Computer zu tun haben, ist die Auslagerung von Wissen in fremdes Material keineswegs neu. Es gab noch nie einen medienfreien Zustand seit Anbeginn der Menschwerdung. In diesem Zusammenhang erscheint die künstlerische Arbeit der Wiener Medienkünstlerin Sylvia Eckermann besonders nennenswert. Sie setzt sich in ihrer Arbeit mit der Macht der digitalen Algorithmen auseinander und stellt nicht nur eine Verschiebung unserer Disziplinen durch Informationstechnologie fest, sondern thematisiert auch unsere neue Schizophrenie - das digitale Avatar.