GEDANKEN ZUM VERGESSEN
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Es kommt gegenwärtig zu einem eigenartigen Phänomen: Hat die Menschheit seit jeher versucht Informationen über Generationen zu übermitteln, tritt heute das Gegenteil ein; Es gibt heute bereits Service-Anbieter die ihre Dienstleistungen im Bezug auf das digitale Vergessen anbieten.
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EIGENE GEDANKEN ZUM VERGESSEN
Wir haben uns nun intensiv mit den Thesen Flussers auseinandergesetzt. Seine These, dass sich die Menschheit hin zu einer immateriellen Kultur bewegt wirken zunächst sehr schlüssig, jedoch möchten wir dieses »Statement« noch erweitern, denn was bis jetzt noch nicht behandelt wurde, ist das menschliche Phänomen des Vergessens. Das Speichern von Erinnerungen ist ein Menschheitstraum. Wie wir erfahren konnten ist und war die Übermittlung und Speicherung von Information seit jeher Ziel jeder Hochkultur. Das elektronische Gedächtnis hat diesen Umstand nicht geändert sondern ihn vielmehr ins Unsichtbare verschoben. Das Messer als Werkzeug um eine Lehmtafel zu informieren wurde heute durch den Mausklick ersetzt. Wir stecken unsere Micro-SD-Speicherkarte in den Personal Computer und führen mittels einem einzigen Mausklick den Befehl »Speichern« aus. Das handgemachte Fotobuch ist in Vergessenheit geraten, wir benötigen es nicht mehr, die Speicherung der Daten wird uns abgenommen, lediglich die Beteiligung am Prozess wird von uns gefordert. Gib etwas über dich preis, teile deine Erfahrungen mit dem sozialen Netzwerken. Speichern ist simpel gesagt, nicht mehr aufwendig und nicht mehr kostenintensiv, eine sorgfältige Vorselektion, von dem was wir als wertvoll genug erachten, um gespeichert zu werden ist beinahe überflüssig geworden. Der Homo ludens, von dem Flusser spricht – also der Spieler mit Information hat heute mit einem anderen Problem zu kämpfen. Es kommt zu einer Prämissenverschiebung: Heute ist die Löschung von Information aufwendiger geworden als die Speicherung. Wiederfinden und selektieren wird am Personal Computer oftmals zu einem aufwendigen Prozess. Wir stimmen also mit der bereits erwähnten Aussage überein: Erinnern im digitalen Zeitalter bedeutet also zunächst speichern und »Wiederfinden«.
Unsere Daten werden heute vollautomatisiert gespeichert – dabei ist das Vergessen ein wichtiger Teil unserer menschlichen Existenz. Vergessen bedeutet Vergebung, das Absitzen einer Straftat beispielsweise; Hat ein Mensch eine Straftat begangen und den evaluierten Zeitraum dafür »abgesessen«, so sollte doch eine Amnesie stattfinden. Der Mensch an sich muss nach diesem Zeitraum von seinen Taten entkoppelt werden, vergessen wir nicht, vergeben wir nicht. Mit dem elektronischen Gedächtnis wird dieser ohnehin schon heikle Diskurs verschärft. Internationale Archive und Datenbanken zu Straftätern sind dabei nur ein Beispiel; Daten werden Jahrzehnte gespeichert, es sorgt für eine Sicherheit (oder zumindest dem allgemeinen Gefühl davon) innerhalb einer Gesellschaft, von einer Explosion der Kreativität, wie Flusser es nennt, kann dann aber nicht mehr die Rede sein. Unabhängig von diesem Beispiel, zeigt die Entwicklung das digitales Vergessen sehr schwierig ist. Man bleibt ständig mit der Vergangenheit verknüpft – die Zukunftsoffenheit geht teilweise verloren. Wir hinterlassen also Spuren, sozusagen einen digitalen Fussabdruck im Netz. Jeder Einkauf, jeder Klick, jeder Like und jeder Kommentar wird aufgezeichnet. Auch ohne angelegtes Facebook Profil sind die Spuren im Netz sichtbar. Es kommt gegenwärtig zu einem eigenartigen Phänomen: Hat die Menschheit seit jeher versucht Informationen über Generationen zu übermitteln, tritt heute das Gegenteil ein; Es gibt heute bereits Service-Anbieter die ihre Dienstleistungen im Bezug auf das digitale Vergessen anbieten. Man nennt sie heute »Reputation Manager« und sie haben Namen wie »Saubere Weste.de« oder »Dein guter Ruf«. Diese Dienstleister versuchen kritische Kommentare mit positiven Meldungen auszugleichen oder kümmern sich bei einem Todesfall um die Löschung von Daten. Facebook, es muss nochmals genannt werden, verweigert Angehörigen die Freigabe des Accounts des Verstorbenen (wir befinden uns nun in der reinsten Absurdität des Datenschutzes). Dieses Beispiel aus dem Bereich der elektronischen Gedächtnisse zeigt, dass sich der Fortschritt der Datenträger nicht unbedingt Hand in Hand mit der menschlichen Entwicklung geht. Dieser Aspekt erscheint uns vor allem auch für unsere künstlerisches Tun interessant. Die Positionierung eines zweckentfremdeten Gegenstand im Ausstellungskontext, abstrahiert die Geschichte, die Herkunft des Objekts. Die nachstehende Aufgabe, die wir als Medienkünstler sehen, ist dieses Objekt wieder mit Bedeutung zu füllen – also an etwas zu erinnern. Das Kapitel des Gedächtnisses sei mit diesen Gedankengängen nun abgeschlossen. Um den Kontext von Speichern in unserem gesellschaftlichen Kontext näher zu beleuchten, haben wir versucht, die uns essentiell erscheinenden Teilgebiete nochmals herauszuarbeiten. Um zu verstehen, warum und wie wir Speichern ist es notwenig sich mit unserer Medienlandschaft (und ihrer Entwicklung) auseinanderzusetzen. Da folgende Kapitel befasst sich mit den Medien in unserem gesellschaftlichen Kontext.