BITS & BYTES / RYOJI IKEDA
Der Japaner Rioja Ikeda wird heute als einer der aktuellsten und famosesten Medienkünstler (er bezeichnet sich selbst als Komponist)
96angesehen, der sich mit den Grundbausteinen unserer gegenwärtigen Informationsgesellschaft – den Bits und Bytes und damit verbunden unseren Datenträgern – auseinandersetzt. Hinsichtlich der Thematik der eigenen künstlerischen Praxis, dieser theoretischen Arbeit und dem Interesse an den Trägern der Daten, führt scheinbar kein Weg an Ikeda vorbei. Die Auseinandersetzung mit seiner künstlerischen Praxis und seiner Ästhetik soll eine künstlerische Perspektive auf die Welt der offen legen. „In seinen Installationen lässt er den Betrachter eintauchen in immersive Datenlandschaften, in endlose Datenströme aus Bits und Bytes, den Fluss elektronischer Impulse abstrakter Rechenprozesse und numerische Datenkolonnen, die das menschliche Wahrnehmungsvermögen übersteigen“
97 , so schreibt das HeK (Haus der elektronischen Künste Basel).
Ikeda erzeugt beeindruckende, wandfüllende Visualisierungen von Daten, die in Zusammenspiel mit seinen auditiven Kompositionen eine permanente Reizüberflutung auslösen. Aufgrund der Interesse am »Datenträger« soll hier jedoch die Werkreihe »systematics« in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Werkgruppe setzt sich mit der Kontinuität bzw. der Vergänglichkeit von Informationssystemen und Codes auseinander. Hierfür verwendet Ikeda frühe Computerlochkarten, Notenrollen und andere »ausgestorbene« Datenträger und lässt diese als abstrakte geometrische Formen erscheinen. „Die rasante Entwicklung der Computertechnologien wird zum Fundus für Bilder abstrakter mathematischer Schönheit, deren Funktionalität im Werk aufgelöst ist.“
98Genau diese Zweckentfremdung erscheint sehr interessant: Sind es es doch eigentlich Träger von Information – haben sie in der Präsentation bei Ikeda scheinbar jeden Zweck verloren. Wie nostalgische Objekte erinnern sie an vergangene Zeiten – wie mystische Relikte (deren Zweck sich nicht mehr genau definieren lässt) treten anstatt ihres ursprünglichen Gebrauchs die visuellen Eindrücke in den Vordergrund. Es lässt uns an die Abgeschlossenheit von Systemen erinnern. Ein kurzer Exkurs in die Geschichte eines solchen historischen Datenträgers hilft vermutlich sich ein solches System vorzustellen: Eine Lochkarte besteht im Grunde aus einem speziellen Papier, indem ein Lochcode (System aus Zeichen) eingestanzt ist – dieser wurde mit Hilfe von elektro-mechanischen Maschinen in die ersten frühen Computer/Rechensysteme eingespeist. Zunächst kamen sie vor allem für die Sicherung von Bestandsdaten (wie etwa Kontoinformation) verwendet, später wurde auch Quelltext (also Programmier- Code für Software) auf Lochkarten gespeichert. Die Lochkarte (auch punched card) gab es in vielen unterschiedlichen Varianten, wie etwa für den Privatgebrauch oder aber auch für den Einsatz von Großrechnern – doch das würde hier zu weit führen.
Ein Typ des Datenträgers soll hier dennoch hervorgehoben werden: Die Hollerith-Lochkarte (sie geht auf Hermann Hollerith zurück, der ein System für die US-amerikanischer Volkszählung von 1890 entwickelte und dazu mit Lochkarten arbeitete) bildete die erste massenhafte Verbreitung dieses Mediums und wurde anfangs in Verbindung mit einfachen maschinellen Geräten, später aber auch noch bei komplexeren digitalen Computern verwendet. Auf dieser Art der Lochkarte können in 80 Spalten zu je zwölf Zeilen Löcher gestanzt werden – dies entspricht rund einer Zeile Text oder anders ausgedrückt – 80 Byte (für die Relation mit der Gegenwart: Es sind rund 100 Millionen dieser Lochkarten notwendig um eine 80 Megabyte Festplatte zu füllen); Die Anfänge der Lochkarte finden sich bereits im 18. Jahrhundert – sie wurden vor allem für wiederkehrende Abläufe verwendet – zB Webstühle oder Drehorgeln (diese bilden zugleich ein seltenes Beispiel dafür, dass Lochkarten vereinzelt noch heute Anwendung finden). Den Boom im Bereich der digitalen Computermaschinen erlebte die »punched card« in den 70ern als IBM mit ihrem Großrechner »System/3« eine 96-spaltige Lochkarte entwickelte, welche es ermöglichte die Daten »echt« binär zu speichern. Der Abstieg erfolgte rapide (zumindest in weiten Anwendungsbereichen) – als Ende der 70er die Magnetband- Kassetten und die famose »Floppy Disc« die Spielregeln der digitalen Speicherweise neu definierten. Wenn wir also aufrunden und dabei großzügig sind, so können wir dem Medium der Lochkarte einen Lebenszyklus von rund 200 Jahren zuschreiben. Beschränken wir das Medium auf die Verbindung mit digitalen Rechenmaschinen, so fällt der Zyklus noch weit geringfügiger aus. Dabei soll angemerkt werden, dass es keine Regel ohne Ausnahme gibt: Wie bereits erwähnt hat sich der Datenträger in manchen Nischen ins immaterielle Zeitalter gerettet: So wurden bei der Wahl von President Bush im Jahr 2012 im Bundesstaat Idaho noch teilweise Lochkarten angeboten. Rioja Ikeda konfrontiert uns also mit diesem analogen Datenträger, präsentiert ihn ästhetisch aufbereitet in im gerahmten Format und koloriert das Medium schwarz-weiss, so dass nur noch abstrakte Symbole verbleiben. Diese visuelle Aufbereitung verstärkt in uns das, was wir ohnehin schon wissen – wir können es nicht lesen und nicht verstehen – es präsentiert sich uns als das was es für uns ist: Ein abstraktes Bild in dem wir – gespeichertes Wissen vermuten können.
Das Wort »Datenträger« lautet im binären Code (welches die »punched card« von IBM System/3 codieren konnte) wie folgt: »01100100 01100001 01110100 01100101 01101110 01110100 01110010 11100100 01100111 01100101 01110010«. Gegenwärtig – und hier sei die Rede vom 0815-User – bedienen wir unseren Personal-Computer mit Hilfe eines Betriebsystems. Diese meist grafische Oberfläche (das »Interface«) ist gekoppelt mit Eingabegeräten – einem Keyboard, einem »pointing device«, einem Mikrofon und einer Cam. Das heißt wir produzieren Daten (Information) heute anders, man könnte behaupten – intuitiver.
Diese Feststellung soll in keinster weise behaupten, dass die breite Bevölkerung damals in Nullen und Einsern dachte, aber durch den digitalen Fortschritt wurde das Bewusstsein für die Dateneingabe (das Speichern) verändert. Ein Personal-Computer macht im Grunde genommen gegenwärtig nichts anderes als die Lochkarten in den 60ern und 70ern – Strom ein, Strom aus, 1 und 0. Jedoch haben sich unsere digitalen Gedächtnisse soweit entwickelt, dass wir davon nichts mehr mitbekommen – die Technik tritt in den Hintergrund. Trotz dieses Komforts, an den wir uns schon längst gewöhnt haben, prozessiert auch eine Harddrive Disc, die auf ihr gespeicherten Daten und transformiert diese (der Formatierung der Festplatte entsprechend) in ein binäres System. Ob und wie lange dieses System der Datenspeicherung sich (das SSD-System ist bereits auf dem Vormarsch) behauptet ist letztendlich eine Frage technologischen Entwicklung.
WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE VIDEO LOOPS?
Die Auseinandersetzung mit den »systematics« von Ikeda bringt auch Erkenntnisse über die eigene praktische Arbeit der »Video Loops«. Die Codierung auf dem Magnetband einer Videokassette ist für die Abspielköpfe von VHS-Rekordern (Playern) konzipiert. Gehen die Lesegeräte verloren, so verliert auch der Datenträger seinen Status als »Träger von Information«. Die Hängung eines simplen VHS-Rekorders in den Austellungsbereich bekommt eine nostalgische Note. Man sieht das veraltete Band, dass sich auf Nägeln geschient an der Wand entlang bewegt. Der inhaltliche Aspekt bleibt noch weitgehend deutungsfreundlich: Ist es eine Kritik an der Technik, ist es eine Kritik am Konsum, der die technische Entwicklung vorantreibt oder ist es einfach nur ein natürlicher Prozess, das Alte wird vom Neuen ersetzt? Betrachten wir ein weiteres Beispiel im Kontext der Datenträger-Entropie: Im Vergleich zu Ikeda, der den Datenträger als abstraktes Objekt der Kunst exponiert, ihn uns (subjektiv gesehen) nostalgisch und symbolhaft entgegen hält, soll hier noch ein weiteres Beispiel angeführt werden, dass den ephemeren Charakter der »data media« veranschaulicht: Das LOIR-Project (lunar orbiter image recovery project).