Foto: Marlene Hirtreiter
PROTHESENGOTT
EIn diesem Zusammenhang sei noch der Begriff des »Prothesengotts« näher beschrieben. Was wir heute mit der »Kybernetik« oder dem »Body-Modifying« gleichsetzen würden, reicht auch bis weit in die analogen Werkzeuge hinein. Der Mensch ist körperlich schwach – der Körper ist unvollkommen und nackt; Seit jeher bedient sich der Mensch künstlichen Körper-Erweiterungen um sich in der Welt besser zurecht zu finden. Der Mensch ist eben ein Mängelwesen, das durch äußere Hilfsmittel versucht seine Lebensqualität zu verbessern. André Leroi-Gourhan erklärt unser Verhalten damit, dass der Mensch seine Defizite durch
„technische und symbolische Operationen“ (wie etwa Sprache und Gebrauch von Werkzeug) überwindet. Dies kann als „fortlaufende Befreiungsgeste“ des Menschen, einer Medienevolution, interpretiert werden.
Das fing an mit der „Medialisierung von Körperfunktionen“ in der Urzeit (Der Faustkeil verstärkte die Hand, der Speer verlängerte den Arm); Die Fähigkeit, Gedanken „symbolisch zu fixieren“ (Bilder, Schriften, Gesänge) war ein wichtiges Mittel zur Kommunikation und Kreation eines universellen Gedächtnisses. Dabei ist die große kulturelle Leistung des Menschen nicht etwa die Kommunikation, sondern das „Speichern und Verteilen von Informationen“.
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Sigmund Freud verfasste in den 1920ern seinen Text „Unbehagen in der Kultur“, mit dem er die Geschichte des Menschen als Mängelwesen beschreibt. „Menschen können sich nur durch Kulturleistungen vom Naturzwang emanzipieren, nur indem sie durch Werkzeuge und Medien ihre schwachen organischen Kapazitäten verstärken.“
33z.B: Schiffe, Brille, Flugzeuge, Kamera, Motortechnik etc.
„Ein derart motorisch wie sensorisch erweiterte Mensch nähere sich einem göttlichen, über der Natur stehenden Ideal an. In dieser seiner künstlichen Gottähnlichkeit wird der moderne Mensch jedoch nicht
unbedingt glücklich, ist er doch nur ‚eine Art Prothesengott geworden.“
34 Diese „Prothese“, die Freud hier anspricht, soll nicht nur einen Mangel kompensieren, sondern auch eine »Verstärkerfunktion« haben. Die Medien in unserer heutigen Gesellschaft erfüllen gewissermaßen auch diese »Verstärkerfunktion«, „[..]denn sie sind Prothesen der Weltwahrnehmung und der Verständigung“
35. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob der Mensch nun die Technik beherrscht oder umgekehrt – denn anscheinend kann der Mensch nicht mehr ohne sie leben. Durch Fotografie, Kino und Fernsehen etablierte sich eine neue Form der Bildkultur. Diese neue Medienkultur versuchte Vilém Flusser 1985 in seinem „Universum der technischen Bilder“ zu analysieren. Auch er stellt Überlegungen zum Ende der Schriftkultur an, und betrachtet die Medienrevolution (nach dem Bild kommt die Schrift), die nun durch anders strukturierte Codes ersetzt wird.
Unter dem Begriff „Kommunikologie“ versteht er sein Studium der Probleme von Kommunikation. „Sein Ansatz kreist um drei Punkte:
- Menschliche Kommunikation ist widernatürlich, ein Kunstgriff gegen natürlichen Zerfall und Tod. Sie ermöglicht die Übertragung von erworbener Information und damit Kultur als „künstliches Gewebe des Vergessen lassens der Einsamkeit“
- Informationen werden entweder ausgetauscht oder neu synthetisiert; es gibt „diskursive“ Kommunikationsformen (verteilen bestehende Information) und „dialogische“ (generieren neue Information)
- In diesem Spannungsverhältnis entstehen neue Kommunikationsstrukturen und neue kulturelle Codes [..]“
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Neue Medien dienen nach Flusser nicht nur der Technisierung von Kommunikation, sondern zielen auch ins Jenseits der sprachlichen Codierung. „Technische Bilder realisieren die im Apparat programmierten Möglichkeiten. Dieser Apparat produziert Bilder, die nur oberflächlich betrachtet etwas abbilden (eine fotografierte Szene), die eigentlich aber symbolische Sachverhalte (Texte, Theorien, kulturellen Konsens) repräsentieren.Technische Bilder bedeuten nicht das, was sie vermeintlich unmittelbar abbilden, und lassen
sich auch nicht daraufhin „lesen“.
37 Der Begriff des Apparates ist vom „Werkzeug“ und der „Maschine“ abzugrenzen: Werkzeuge sind Ausweitungen des Körpers und vereinfachen alltägliche Verrichtungen. Sie funktionieren nur, wenn der Mensch sich ihrer bedient (Handarbeit). Maschinen sind ähnlich wie Werkzeuge. Allerdings beginnt der Mensch in Abhängigkeit von der Maschine zu funktionieren (Industriearbeit) , d.h. Apparate simulieren Prozesse, für die sie der Mensch programmiert hat und sie funktionieren danach scheinbar selbstständig. Sie produzieren technische Bilder und diese wiederum bilden die Basis für unsere heutige Medienkultur. Dabei kann man gegenwärtig von einer unstrittigen Präsenz von Werkzeug und Maschine ausgehen, beide übersetzen Codes in eine Tätigkeit, sie verrichten eine Arbeit oder unterstützen den Menschen zumindest dabei. Wir haben nun also die, für den Menschen möglichen, Kommunikationsmodelle (Diskurs/Dialog) untersucht. Im Kontext des Prothesengotts wird nun die Verbindung ersichtlich. Das Medium ist eine Kommunikationsprothese des Menschen. Sie sind das »Tor« zur Welt, durch sie können wir uns verständlich machen, können andere unsere Nachrichten empfangen genauso wie wir ebenfalls Informationen empfangen können.
Nehmen wir als Beispiel eine übliche Tagung, der Kontext spielt dabei keine Rolle:
Die zuvor besprochenen Kommunikationsmodelle stellen Methoden und Prozesse dar, die der Mensch selbst entwickelt hat. Der strukturierte Ablauf eines Kommunikationsprozesses, etwa bei einer Tagung (nehmen wir an, es handelt sich um einen Kreisdialog), bildet den Rahmen für den Austausch von Information. In unserem Beispiel können wir von der »Sprache« als »Basis-Dialog-Code« ausgehen, denn üblicherweise wird bei einer Tagung diskutiert. Nehmen wir nun an, ein Vertreter bedient sich einer Projektion (Beamer, Lap-Top) um seinen Standpunkt zu unterstreichen oder um den anderen Teilnehmern recherchierte Informationen zur Verfügung zu stellen – heute eine banale Alltagssituation. Betrachten wir dies jedoch unter dem Statement »Prothesengott«, so bedient sich der/die Vorführende zahlreichen technischen Erweiterungen. Die Präsentation ermöglicht es, Informationen komprimiert zusammenzufassen und anschaulich aufzubereiten. Der Aspekt der Projektion transformiert eine Wand in eine interaktive Tafel der Information. Diese technischen Prothesen erlauben es uns Informationen leichter zu teilen – gleichzeitig begeben wir uns in ihre Abhängigkeit – der Umgang mit Medien (Prothesen) ist gleichsam also auch immer mit Einschränkungen verbunden. Mit dieser Information im Hinterkopf wollen wir uns nun in kurzen Ausführungen den historischen Aspekten unserer Medienkultur widmen.