TEASER ZU "VAMPYROTEUTHIS", Dekonstrukt, 2015, HD-Video, 7'08''
VAMPYROTEUTHIS
Nachfolgend soll hier die eigene künstlerische Arbeit, »Vampyroteuthis«, als Beispiel
dienen.
Der fiktionale Experimentalfilm „Vampyroteuthis“ bezieht sich auf die Publikation „Vampyroteuthis Infernalis“ von Vilém Flusser und setzt sich dabei mit seinem fabelhaften Versuch auseinander, den Anthropozentrismus zugunsten einer objektiven Untersuchung der menschlichen Gesellschaft abzubauen. Ausgehend von Flussers Hypothese – bei der ein Tiefseetintenfisch (vampyroteuthis infernalis) das exakt antipodale, biologische Gegenindividuum zum Menschen verkörpert – stellt auch der Film zwei Individuen in (ihren) jeweiligen Lebensräumen einander in metaphorischen Bildern gegenüber. Würde es uns gelingen den Faktor Mensch aus unseren gesellschaftlichen Disziplinen wie etwa Kultur, Politik und Moral zu isolieren und somit einen unvoreingenommenen Blick freizulegen, wir würden einem uns entgegengesetzten Wesen – einem Spiegelbild unserer Selbst – entgegentreten.
Konzeption zur visuellen Dramaturgie
In zwei parallel geschilderten, unterschiedlichen Bildwelten, wird Suche und innere Reflexion visualisiert. Ein schwarzes Wesen steigt unter einer undefinierten Brücke empor und begibt sich auf Wanderschaft im urbanen Raum. Die scheinbare Zivilisation ist durchsetzt von künstlichen Elementen und Montagen, die uns die eigentlich gewohnte Umgebung als eine surreale Schablone präsentieren. Dieser Handlung gegenübergestellt sehen wir eine junge Frau aus dem Wald kommen, sie spaziert von Lichtung zu Lichtung, in scheinbar unberührter Natur. Die beiden Figuren scheinen sich in der jeweiligen Umgebung des anderen aufzuhalten. Die beiden simultan laufenden und ineinander montierten Räume werden fortlaufend von Wasseraufnahmen durchsetzt. Das Wasser als Element bildet die symbolische Grenze der beiden Umgebungen – die Oberfläche und den Untergrund: Durch die Darstellung von Wasser in beiden Handlungsräumen wird die zunehmende Nähe zueinander deutlicher. Die Reflexion über die eigene Existenz mündet in der Vorstellung und dem Näherkommen der jeweiligen anderen Filmfigur. Durch die Montage von kulturellen Gegenständen in den Filmsequenzen wird der Kontext (unsere Geschichte, unseres Wissens) in dem wir uns als Menschen befinden, visualisiert.
Klangwelt und Narration
Die klangliche Gestaltung des Films setzt sich aus den Umgebungsgeräuschen der jeweiligen Orte und dem Element des Wassers zusammen. Digitale Bearbeitung und Arrangement lassen aus dem „Sprudeln“ und „Plätschern“ eine sphärische Klangwolke entstehen, die die gezeigten Bilder in einen mystischen Kontext setzt. So wie sich die beiden ProtagonistInnen im Verlauf des Film »annähern« bzw wieder »entfernen« so greift auch die auditive Ebene dieses Thema auf und bildet einen collagierten Klangteppich.
Hintergrund & Vilém Flusser
In der Veröffentlichung „vampyroteuthis infernalis“ versucht Flusser die darwinistische Revolution in die aktuelle Kulturkritik miteinzubeziehen. Für ihn stellt die biologische Entwicklung des Menschen einen wichtigen Faktor für die phänomenologische Interpretation unserer Gesellschaft dar. Er tut dies in Form einer Fabel, in der sich Fakten, Fiktion und Hypothesen gleichermaßen ineinander verflechten. Für seine pseudowissenschaftliche Untersuchung des Menschen nimmt er literarisch die Postion jener Spezies ein, die auf unserem evolutionärem Stammbaum die exakt entgegengesetzte Stellung einnimmt: Den Vampirtintenfisch; Mit diesem Ausgangspunkt beginnt er das menschliche Denken und sein Gesellschaftsleben aus der Sicht eines Weichtieres zu beschreiben. Das gesamte Unterfangen stellt somit einen Versuch dar, sich dem Menschen, seinen Gedanken und Haltungen möglichst objektiv und aus bespiegelter Aussensicht zu nähern. In der Fabel wird der Mensch als kriegerisches „Tier“ beschrieben, getrieben von Herrschsucht und Materialismus – der Mensch überwindet seine Tierheit durch die Liebe. Der Vampyroteuthis hingegen ist in seiner Grundart ein liebevolles und friedliches Wesen und besitzt keine materiellen Besitzansprüche (er übt sich in der immateriellen Kunst der Sepiamodellierung). Überwindet dieser jedoch seine Tierheit, so geschieht dies durch den Hass. In diesem Zusammenhang tritt nun auch ein Aspekt der menschlichen Evolution zu Tage: Der Mensch hat sich aufgerichtet, seine Hände wurden entlastet – fortan nutzt er seine Hände um die Welt zu »behandeln«. Er nutzt Werkzeuge um Wissen in Material zu konservieren – Kultur herzustellen, mit der Prämisse, seine eigene Vergänglichkeit zu
überwinden. In seinem Spiegelbild – den Cephalopoden – lassen sich solche Züge nicht entdecken: Sie benutzen immaterielle und ephemere Medien der Kunst. Der Vampyorteuthis will kein Material »meisseln« oder andersartig bearbeiten, er modelliert das Wasser mittels Sepia und transformiert den eigenen Körper (durch Farbveränderung der Haut) zu einer Projektionsfläche kurzweiliger Kunst & Kultur. Die Cepaholopoden sind derart komplexe Weichtiere geworden, so dass sie sich dem Menschen annähern – sie bildeten einen Panzer aus um ihr Gehirn zu schützen (eine klassische Strategie der Wirbeltiere) – dem entgegen steht der Mensch, der sich einer »vampyroteuthischen Strategie« bedient und im Zuge der zweiten industriellen Revolution, vom Material ablässt und hin zur immateriellen Kunst (der Informationsgesellschaft) schreitet. "Der Künstler vergisst, daß er an der Übertragung erworbener Information an andere Menschen engagiert ist, und er erlaubt dem Gegenstand, sein Engagement zu verschlucken. Diese typisch menschliche Absorption des existentiellen Interesses durch das Objekt, diese Arbeitsmoral droht aus den Objekten nicht Kommunikationsmedien, sondern Kommunikationsbarrieren zwischen Menschen zu machen. Das ist im Grunde genommen der lächerliche Irrtum, auf dem die menschliche Kunst beruht, und der aus vampyroteuthischer Sicht an den Tag tritt.“
119Am Ende der Fabel schließt Flusser den Kreis indem er Vampyroteuthis aus den Tiefen der Ozeane holt und ihn in unser kulturelles Umfeld setzt. Inspiriert von genau diesem Prinzip, versucht der Kurzfilm „Vampyroteuthis“ diese zwei entgegengesetzten Postionen visuell festzuhalten, sie gegenüberzustellen – sie mehr und mehr aneinander anzugleichen und sie schlussendlich wieder in die jeweiligen Umgebungen zu entlassen.
Unser Film versucht also die beiden Seiten gegenüberzustellen, er zeigt den Mensch als kulturelles Wesen, dass ständig gegen die eigene Vergänglichkeit ankämpft – wir füllen Datenträger dies scheint unsere Bestimmung zu sein, dabei spielt es wenig Rolle ob dies mit dem Medium des Papiers oder einer Festplatte passiert. Wir sehnen uns danach Gedächtnisstützen zu schaffen um uns im Nachhinein wieder erinnern zu können. Wir speichern der Erinnerung, der Kommunikation wegen. Das die hypothetische Lebensform des Vampyroteuthis sich dem widersetzt, kann unserer Meinung nach mit dem heutigen Verweigern der digitalen Medien gleichgesetzt werden. Ein Mensch, der sich im Untergrund des Meeres befindet, seine Kommunikation auf ephemere Zeichen beschränkt, sich sozusagen im Untergrund bewegt – hat dieser noch eine gesellschaftlich relevante Rolle? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, stellt sie doch (so wie auch diese gesamte Arbeit es oft tut) unsere Grundnatur der Wissensarchivierung in Frage. Der Mensch, so wie auch die Protagonistin im Video, ist umgeben von Kulturgegenständen. Der Mensch behandelt Gegenstände, harte Materialien, er formt sie, er meisselt sie, er speichert Wissen in ihnen. In oralen Kulturen geschieht dies zumeist mittels der Sprache, in der schriftlichen Kultur werden Symbole und Codes verwendet – der Zweck ist jedoch immer der gleiche; Im Gegensatz dazu erscheint uns im Film ein Wesen (symbolisch mit der Rolle des Vampyroteuthis besetzt), welches sich in einer ephemeren Kunst übt. Zum Eigenzweck wird das Sepia modelliert und geformt. Es ist flüchtig und die Skulptur wird bereits nach kurzer Zeit durch Strömung immer weiter verformt bis sie sich schlussendlich der Entropie hingibt. Der Anspruch des ewigen Speicherns ist beim Vampyroteuthis also nicht gegeben – ganz im Gegenteil: Für das Wesen stellt der menschliche Versuch sich mittels einem Kunstgriff gegen die eigene Gedächtnislosigkeit zu wehren einen logischen sowie existenziellen Fehler dar. Wir befinden uns also in einem Paradoxon: Das (oder zumindest ein wichtiger Aspekt davon) was den Menschen zum Menschen macht – die Weitergabe von Information – stellt für unser Spiegelbild eine absolute Banalität dar. Das Video setzt sich also auf symbolischer und metaphorischer Ebene mit diesen beiden Grundhaltungen auseinander.